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NZZ FOLIO – WER WOHNT DA?
«BERUF: REPORTER» / OKTOBER 2014
Geschlossene Gesellschaft – von Gudrun Sachse
Ein esoterisches Ehepaar? Ein Therapeut mit asiatischen Wurzeln? Wen eine Psychologin und ein Innenarchitekt anhand der Bilder in diesen Räumen vermuten.
Die Psychologin
Hier wohnen ordentliche Leute, nichts Nervöses stört den harmonischen Gesamteindruck. In ihrer Bleibe haben sie sich persönlich eingerichtet, sie scheinen angekommen und verwurzelt. Die Bewohner sind viel daheim, sie mögen es ruhig und beschaulich.
Aber hier gehen auch Leute ein und aus. Wie es in diesem Haushalt kulinarisch bestellt ist, bleibt im Verborgenen – der grosse Tisch mit den schönen Stühlen mutet eher wie ein Sitzungszimmer an. Wird hier vielleicht debattiert, treffen sich Lesegruppen oder finden spirituelle Sitzungen statt?
Die orange Matratze wäre als Gästebett etwas gar öffentlich in der guten Stube, aber für meditative Entspannung liegt sie einladend da. Orange- und Rottöne, das Foto der Lotusblüte und auch die anderen Bilder mit ostasiatischem Touch lassen hier Menschen vermuten, die etwas mit östlicher Religion und Spiritualität am Hut beziehungsweise in den Büchern haben.
Bücher spielen eine wichtige Rolle, manche sind gar in edlen Schränken verstaut. Hier lagert nicht nur Feierabendlektüre, die Bewohner lesen und forschen auch berufshalber darin. Vielleicht gilt ihr Interesse alten Schriften, Religionen, spirituell-esoterischen Themen? Im Arbeitszimmer sieht es nach weltlicher Arbeit aus: Laptop, Hängeregister und Ventilatoren, um an Hitzetagen nicht schlappzumachen. Zwei Bürostühle vis-à-vis, dazwischen das Macbook: Kommen Besucher oder Kunden zu Gesprächen oder Beratungen hierher? Bringen die Bewohner ihr Können und Wissen auch kommerziell unter die Leute?
Die zwei Menschen sind wahrscheinlich schon lange ein stimmiges Paar, wären da nicht zwei Arbeitstische mit zwei Telefonen, es könnte auch ein Einzelner hier wohnen.
Der Innenarchitekt
Schnöde, weisse Rauhfasertapeten, die sich in vielen Wohnungen finden, fehlen. Hier sind die Farben komplexer und differenzierter. Im Falle des Büros trägt die Wand einen beinahe schon südlichen Farbton.
Die von den Materialien her und farblich mit sicherer Hand abgestimmte Wohnung strahlt etwas Herrschaftliches aus. Teure, schwere und aufwendige Möbel changieren mit ein paar Stücken aus dem Kaufhaus. Die in der Wohnung verteilten Reminiszenzen aber verweisen auf Fernost.
Das Büro hingegen gehorcht alten westlichen Standards und machte sich gut als Kulisse in einem amerikanischen Spielfilm. Der Sessel mit dem hohen, breiten Rücken scheint dem Patron des Hauses zu gehören. Wer nur sitzt ihm gegenüber? Oder vielleicht ist es doch eher der Sitzplatz einer Frau? Männer haben seltener Blumen an ihrem Arbeitsplatz. Wer bedient das kleine, graue Telefon am Nebentisch? Alles deutet darauf hin, dass in diesem Büro Erwerbsarbeit geleistet wird. Man könnte sich problemlos in der Praxis eines schon lange praktizierenden Therapeuten wähnen. Seine Assistentin zu seiner Seite. Aber offensichtlich wird hier gewohnt, gelesen und musiziert.
Hier wohnt ein Ehepaar. Im Wohnzimmer nächtigt die Enkelin, die zu Besuch in der Stadt ist. Am Tisch stehen acht Stühle, das ist ein Zeichen für einen regen sozialen Austausch. In dieser Wohnung treffen sich Leute. Rauschende Parties hingegen werden hier wohl kaum gefeiert. Es geht bedachter zu und her.
Das Wissen, das sich in den Büchergestellen befindet, bestimmt wohl auch die Gäste. Wenn die Gardinen einmal gezogen sind, dann ist es gut möglich, dass hier ein geschlossener Zirkel zusammenfindet.
Auflösung:
Krishna Premarupa das, Tempelpräsident von Hare Krishna
«Mein Wohnkarma ist wohl ziemlich gut. Als Kind bekam ich in der Blockwohnung in Volketswil das grosse Elternschlafzimmer. Auch in meiner ersten WG hatte ich das grösste Zimmer. Und nun habe ich fünf Fenster und schaue auf den Zürichsee.
Die Villa baute die Familie Julius Bär 1909. Sie hat 25 Zimmer auf sechs Etagen. Die Krishna-Stiftung kaufte das Haus 1980. Davor stand es mehrere Jahre leer, war auch mal eine Zeitlang besetzt. Wir bezahlten 1,2 Millionen. 200 000 Franken hatten wir gespart, der Rest war ein Kredit. Wir leben zu zwölft im Tempel, so nennen wir unser Daheim, wir sind acht Männer und vier Frauen. Im Eingangsbereich befindet sich der Altar Krishnas.
In den 1980ern waren wir, zugegeben, ziemlich missionarisch, eine sektiererische Bewegung, würden manche sagen, wir sangen und trommelten und verteilten am See unsere süssen Griessküchlein. Heute sind wir bodenständiger. 95 Prozent der Krishna-Mitglieder haben einen Job und Familie. Unseren Tempel besuchen Gläubige, Indienfans und Leute aus der Yoga-Szene.
Unter der Woche ist es hier ruhig, sonntags wird gefeiert. Nun werde ich aber das Essen schöpfen, das sonst abkühlt. Bevor ich vor 13 Jahren einzog, war ich Koch. Das Essen heute ist aber nicht von mir. Wir kochen ayurvedisch und leben vegetarisch. Natürlich wäre vegan noch besser, aber Krishna liebt Milchprodukte – und eigentlich kochen wir nur für ihn. Unser Ziel wäre es, Milch von Kühen zu bekommen, die nicht getötet werden. Momentan ist das unmöglich, darum verwenden wir nur wenig Milch von einem Biobauern aus der Region.
Ich spreche noch ein Gebet: maha-prasade govinde, nama-brahmani vaisnave, svalpa-punya-vatam rajan, visvaso naiva jayate . . .
Und nun zum Essen: Wir haben hier Basmatireis, Linsen, Bananenchutney, Fladenbrot, Broccoli, Auberginen und Blumenkohl an Erdnusssauce, Gemüsekroketten an Tomatensauce und eine Kokosnuss-Süssigkeit. Krishna hat bereits gegessen. Die bunten Figuren auf dem Altar im Erdgeschoss werden jeden Tag von Mönchen neu eingekleidet. Das dauert zwei Stunden und ist eine Form der Meditation. Krishna ist auf dem Altar präsent; indem wir den Altar mit Blumen und Früchten schmücken, erfreuen wir ihn. Krishna bekommt sein Essen auf seinem eigenen silbernen Geschirr. Von Krishnas Teller gehen die Speisen später zurück in die grossen Töpfe, damit jeder von uns etwas davon erhält.
Meine Mutter war alleinerziehend. Mein Vater starb, als ich noch ein Baby war. Sie gab Religionsunterricht und war Sigristin, ich war Ministrant. Als ich den Buddhismus für mich entdeckte, klagte sie: Warum Buddha und nicht Jesus? Als ich später Krishna näherkam: Warum Krishna, warum nicht Jesus? Ich erinnere mich gut an ihren ersten Besuch hier im Tempel, damals war ich noch einfacher Mönch. Wer Indien nicht kennt und liebt, für den sind diese Gerüche und Figuren sicher sehr fremd. Mittlerweile ist meine Mutter stolz, dass ich meinen spirituellen Weg gegangen bin. Das einzig schwierige Thema ist ihr Wunsch nach Enkelkindern. Aber ich lebe nun mal im Zölibat.
Zum Glück gibt es noch meinen Bruder. Mit ihm war ich 1998 auf meiner ersten und wichtigsten Pilgerreise in Burma. Auf der Reise entdeckte ich meinen Wunsch, im Kloster leben zu wollen. Ich verstehe, wenn jemand, aufgrund der Weltsituation, nichts mit Religion zu tun haben will. Ich glaubte immer schon an die Wiedergeburt und habe schon Tausende Leben hinter mir. Für mich wäre es beängstigend, wenn das Licht für immer aus sein sollte.
Unser Tag im Tempel beginnt um vier Uhr. Nach dem Aufwachen bete ich, dusche und ziehe mich an. Die Kleiderwahl ist einfach: Ich habe fünf identische Sets. Es folgen Gesang, Meditation und Lesungen. Um neun Uhr gibt es Frühstück. Wir nähren zuerst unseren Geist, dann den Körper. Anschliessend hat jeder sein Ämtli; ich bin im Büro, auf dem Altar und putze auch regelmässig die Toiletten. Nach dem Mittagessen lege ich mich auf die linke Seite, was nach Ayurveda die Verdauung fördert. Nachmittags lesen wir in der heiligen Schrift, meditieren, machen Spaziergänge. Nach einem leichten Essen gehen wir um neun Uhr zu Bett. Mein Zimmer gefällt mir, aber daheim fühle ich mich in Indien, obwohl dort meine Bleibe bescheidener ist.»
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